Wissenschaftler verlassen sich auf Beweise
Gar nicht so wenige Menschen glauben, dass sie objektiver sind als andere. Adam Grant weiß: „Wie sich zeigt, geraten schlaue Menschen eher in diese Falle. Je intelligenter man ist, desto schwieriger kann es sein, die eigenen Grenzen zu sehen.“ Gut denken zu können kann dazu führen, dass man schlechter darin ist, Dinge zu überdenken. Wenn man im Wissenschaftlermodus ist, weigert man sich, seine Ideen zu Ideologien werden zu lassen. Man beginnt nicht mit Antworten oder Lösungen, sondern mit Fragen und Rätseln. Man predigt nicht aus der Intuition heraus, sondern lehrt auf der Basis von Beweisen. Man hegt nicht nur eine gesunde Skepsis gegenüber den Argumenten anderer Menschen, sondern auch gegenüber seinen eigenen. Adam Grant ist Professor für Organisationspsychologie an der Wharton Business School. Er ist Autor mehrerer internationaler Bestseller, die in 35 Sprachen übersetzt wurden.
Wissenschaftler müssen aktiv unvoreingenommen sein
Wie ein Wissenschaftler zu denken, beinhaltet mehr, als nur unvoreingenommen zu reagieren. Es bedeutet, aktiv unvoreingenommen zu sein. Es erfordert, nach Gründen zu suchen, warum man sich irren könnte – nicht nach Gründen, warum man recht haben müsste –, und seine Ansichten auf der Basis dessen, was man lernt, zu korrigieren. Das geschieht selten, wenn man sich in einem anderen mentalen Modi befindet. Im Predigermodus ist es ein Zeichen moralischer Schwäche, seine Meinung zu ändern.
Im Wissenschaftsmodus ist es dagegen ein Zeichen intellektueller Integrität. Adam Grant fügt hinzu: „Im Staatsanwaltmodus gilt es als Eingeständnis einer Niederlage, sich überzeugen zu lassen. Im Wissenschaftlermodus ist es ein Schritt in Richtung Wahrheit. Im Politikermodus schwanken wir, je nach Zuckerbrot und Peitsche, hin und her. Im Wissenschaftlermodus ändern wir angesichts schärferer Logik und überzeugenderen Daten unseren Standpunkt.“ Vor allem beim Lernen geht es nicht um die Bestätigung der eigenen Überzeugungen, sondern um deren Weiterentwicklung.
Die meisten Menschen profitieren von mehr Aufgeschlossenheit
Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen es sinnvoll sein könnte, zu predigen, zu verfolgen und zu agieren. Dennoch glaubt Adam Grant, dass die meisten Menschen von mehr Aufgeschlossenheit profitieren würden, weil der Wissenschaftlermodus derjenige ist, in dem man geistige Beweglichkeit erlangt. Was beispielsweise große amerikanische Präsidenten von anderen abhob, war ihre intellektuelle Neugier und Offenheit. Sie lasen viel und waren genauso begierig, von Entwicklungen in der Biologie, Philosophie, Architektur und Musik zu erfahren wie von innen- und außenpolitischen Angelegenheiten.
Sie waren daran interessiert, neue Ansichten zu hören und ihre alten Ansichten zu überprüfen. Sie betrachteten viele ihrer Maßnahmen als Experimente, die es durchzuführen, und nicht als Punkte, die es zu erzielen galt. Obwohl sie von Beruf Politiker waren, lösten sie Probleme oft wie Wissenschaftler. Beim Studium des Umdenkprozesses hat Adam Grant festgestellt, dass er oft zyklisch abläuft: „Er beginnt mit intellektueller Demut – dem Wissen, dass wir nichts wissen.“ Quelle: „Think Again“ von Adam Grant
Von Hans Klumbies